Suchfunktion
Pressegespräch 2015 - interessante Entscheidungen aus dem Zivil- und Familienrecht
Datum: 23.04.2015
Kurzbeschreibung:
I. Klagewellen
Auch im Jahr 2014 war das Oberlandesgericht Karlsruhe in verschiedenen Senaten mit Klagewellen befasst.
VBL- bisher ca. 420 Verfahren
Im Jahr 2014 gingen ca. 400 Berufungen von Klägern gegen die in Karlsruhe ansässige Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ein. Die VBL zahlt den Angestellten der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eine Zusatzrente. Die Kläger gehören einer Gruppe von ca. 1,7 Millionen „rentenfernen“ Versicherten an (Jahrgang 1947 und jünger). Sie sind von der Satzungsumstellung der VBL im Jahr 2002 betroffen. Im Jahr 2002 wurde die bis dahin beamtenähnliche Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes auf ein beitragsfinanziertes Punktemodell umgestellt. Für die Kläger geht es um den Wert der bis zu Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Die Kläger erlitten gegenüber der bisherigen Regelung teils erhebliche Einbußen. Die ursprüngliche Regelung für „Rentenferne“ wurde bereits im Jahr 2007 vom Bundesgerichtshof für unwirksam erklärt. Im Jahr 2011 einigten sich die Tarifparteien auf eine neue Regelung für diese Gruppe, die vom 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe nunmehr erneut als nicht verfassungskonform beurteilt wurde. In den ca. 60 bislang entschiedenen Verfahren hat die VBL Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt.
Schrottimmobilien (Badenia Bausparkasse) seit 2008 ca. 750 Verfahren
Der 17. Zivilsenat ist seit 2008 mit Berufungen in sog. Schrottimmobilienfällen befasst. Diese Klagewelle steht nunmehr vor dem Abschluss. Letzter Verhandlungstag war im Dezember 2014. 700 Verfahren sind erledigt; bei den noch offenen Verfahren sind die Vergleichsverhandlungen noch nicht abgeschlossen. Insgesamt wurde an ca. 50 Sitzungstagen verhandelt. Betroffen waren über 60 Immobilienobjekte in ganz Deutschland. Etwa 60 Verfahren wurden durch Urteil entschieden. In fast allen Fällen wurde von der unterlegenen Partei Rechtsmittel eingelegt, in einer Handvoll mit Erfolg. Weit über 600 Verfahren wurden durch Vergleich beendet. Wie in vielen Masseverfahren werden die Kläger von einigen wenigen Anwaltskanzleien vertreten, die durch entsprechende Werbung auf sich aufmerksam machen. Hier haben beispielsweise vier Kanzleien jeweils über 100 Kläger vertreten.
Anwaltsfehler bei Klageerhebung ca. 150 Verfahren
Bei dieser Klagewelle die Freiburger Senate betreffend geht es um Schäden aus der Beteiligung an einem Immobilienfonds. Die Kläger werden hier sämtlich von einer Kanzlei vertreten. Erstinstanzlich hat das Landgericht Konstanz den Klagen stattgegeben. In der Berufung rückte ein formaler Fehler der Anwaltskanzlei der Kläger in den Fokus. Diese hatte die der Beklagten zuzustellende Abschrift der Klagschrift nicht beglaubigt. Nach Ansicht des 9. Zivilsenats (in Freiburg) war die Klageerhebung damit formell unwirksam und die Forderungen der Kläger sind verjährt. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen.
„Ewiges“ Widerrufsrecht bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung
Sowohl der 12. für Versicherungssachen zuständige Zivilsenat als auch der 17. Zivilsenat, der für Bankensachen zuständig ist, befassen sich in einer Vielzahl von Verfahren mit der Frage von möglichen Ansprüchen aus Versicherungs- oder Darlehensverträgen, bei denen die Kläger nicht ordnungsgemäß über ein aus Verbraucherschutzgründen bestehendes Widerspruchsrecht belehrt wurden. Teilweise werden nun viele Jahre nach vollständiger Abwicklung der Verträge noch Widerspruchsrechte geltend gemacht.
II. Interessante Entscheidungen des vergangenen Jahres
1. Arzthaftung
Der für Arzthaftung zuständige 7. Zivilsenat hatte sich im Jahr 2014 in verschiedenen Verfahren mit Fragen der ärztlichen Aufklärung vor Eingriffen zu befassen.
Aufklärung durch Medizinstudenten
Bei der Klägerin war bei einer
Herzkatheteruntersuchung die Oberschenkelarterie durchtrennt
worden. Eine Revisionsoperation wurde erforderlich. Auch in der
Berufung war kein Fehler des behandelnden Arztes nachweisbar. Die
Klägerin machte geltend, sie sei nicht ordnungsgemäß
durch einen Arzt aufgeklärt worden. Der 7. Senat entschied,
dass die Aufklärung durch einen entsprechend
angeleiteten und überprüften Medizinstudenten im
praktischen Jahr zulässig ist - 7 U 163/12 -
Urteil vom 29.01.2014.
Aufklärung über entfernte
Risiken
Bei dem Kläger war nach einer Behandlung durch
Abbinden und Veröden von Hämorrhoidalknoten eine seltene,
genetisch bedingte Komplikation aufgetreten, die eine Sepsis
verursachte. Der Kläger machte mangelhafte Aufklärung
über die Risiken des Eingriffs geltend. Der Senat hat
entschieden, dass der Kläger über das Risiko einer Sepsis
nicht aufzuklären war. Über so fernliegende
ungewöhnliche Komplikationen, wie im vorliegenden
Fall eine Sepsis, die nur unter so
außergewöhnlichen Umständen auftreten können,
dass sie dem Arzt nicht bekannt sein mussten, musste nicht
aufgeklärt werden. Allerdings hat der Senat
festgestellt, dass der Kläger fehlerhaft nicht über die
mit einer Operation im Darmbereich einhergehende Infektionsgefahr
aufgeklärt wurde. Diese fehlerhafte Einwilligung war für
die Operationsentscheidung jedoch nicht ursächlich, da der
Patient nach den Feststellungen des Senats auch bei Kenntnis des
Infektionsrisikos der Operation zugestimmt hätte - 7 U
124/12 - Urteil vom 09.04.2014.
Aufklärung gegenüber einem
Ausländer
In einem weiteren Verfahren des 7. Senats hatte der
Kläger unter anderem geltend gemacht, dass er die
Aufklärungsgespräche nicht richtig verstanden habe, da er
nicht hinreichend Deutsch verstehe. Der Senat hat hierzu
entschieden, dass dann, wenn ein ausländischer Patient, der
offenbar der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist,
während des Aufklärungsgesprächs nicht zu erkennen
gibt, dass er die Aufklärung nicht verstanden hat, die
erteilte Einwilligung wirksam ist. Etwas anderes gilt, wenn der
Patient die Zuziehung eines Dolmetschers oder wenigstens eines
deutsch sprechenden Familienangehörigen verlangt - 7 U
121/13 - Urteil vom 09.04.2014.
Im 7. Senat ist derzeit außerdem ein Verfahren zu mit Billigsilikon gefüllten Brustimplantaten anhängig. Der BGH hat allerdings ein Parallelverfahren dem EuGH vorgelegt. Voraussichtlich wird mit Zustimmung der Parteien der Ausgang dieses Parallelverfahrens abgewartet werden.
Ebenfalls mit Brustimplantaten
hatte sich der 12. Zivilsenat zu befassen. Sieben Jahre nach einer
Brustvergrößerung war es zu einer Kapselfibrose gekommen,
die den Austausch beider Implantate erforderlich machte. Die
beklagte Privatversicherung verweigerte den Versicherungsschutz
für den Implantatwechsel, da es sich um Folgen der
Schönheitsoperation handele. Der 12. Zivilsenat hat dem
Versicherer recht gegeben. Durch die Schönheitsoperation mit
Einbringung von Implantaten werde mit Einverständnis des
Patienten ein dauerhaft anomaler Körperzustand und damit eine
Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne herbeigeführt. Die
Kapselfibrose ist nach den Angaben des medizinischen
Sachverständigen eine natürliche Reaktion auf den
Fremdkörper. Über diese mögliche Folge war die
Ehefrau des Klägers aufgeklärt worden, so dass die
Ehefrau diese Folge zumindest in Kauf genommen hat. Die Revision
zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen und eingelegt
- 12 U 18/13 - Urteil vom 06.08.2014.
2. Zivilverfahren allgemein
Gebrauchtwagenkauf unter Privatleuten
Ein Privatverkäufer hatte die Laufleistung des
veräußerten PKW ausdrücklich garantiert.
Tatsächlich lag die Laufleistung des veräußerten
PKWs um 35.000 bis 40.000 Kilometer höher als auf dem
Tacho angezeigt. Eigene Kenntnis der Manipulation war dem
Privatverkäufer nicht nachzuweisen. Der Senat verurteilte den
Verkäufer allerdings zur Rückabwicklung des Vertrages
nach Rücktritt des Käufers, da er ausdrücklich eine
Garantie ausgesprochen habe, für die er auch ohne eigene
Kenntnis von der Manipulation hafte
- 7 U 13/14 -Urteil vom 15.10.2014.
Mit der Klage eines Schülers der 3.
Klasse einer Grundschule gegen das Land
Baden-Württemberg als Schulträger auf Schmerzensgeld
wegen „Mobbings“ hatte sich der 7. Senat
zu befassen. Der Schüler war von Mitschülern während
der Pause an Händen und Füßen gefesselt und in der
Weise gedemütigt worden, dass ihm die Hose herunter- und die
Unterhose hochgezogen wurde. Der Schüler machte geltend, seine
damalige Klassenlehrerin und andere Bedienstete der Schule
hätten die Angriffe nicht verhindert und auch nach den
Übergriffen nicht angemessen reagiert. Der Senat sah die
Vorwürfe der mangelhaften Pausenaufsicht als nicht erwiesen
an. Auch die Reaktion der Schule auf die Vorfälle hielt der
Senat für angemessen. So waren Entschuldigungen von den
beteiligten Schülern erwirkt worden und diesen der zeitweilige
Ausschluss vom Unterricht angedroht worden
- 7 U 28/13 - Urteil vom 15.01.2014.
Ein Kind - vertreten durch die Eltern -
klagte auch in einem weiteren Verfahren. Das Kind war bei
einer Vorführung zur Brandverhütung und Bekämpfung
bei einem „Tag der offenen Tür der
Feuerwehr“ durch eine Stichflamme erheblich verletzt
worden. Die Klägerin machte geltend, die
gemeindlichen Feuerwehrleute hätten fahrlässig gehandelt
und verklagte die beiden Feuerwehrleute, die die Vorführung
durchgeführt hatten. Der 7. Zivilsenat hat die Berufung der
Klägerin zurück gewiesen. Der „Tag der offenen
Tür“ sei eine Maßnahme der Brandverhütung und
Brandschutzaufklärung. Die Feuerwehrleute hätten damit
hoheitlich gehandelt, eine persönliche Haftung scheide aus.
Eine Klage sei gegen die Gemeinde zu richten
- 7 U 112/14 - Beschluss vom 16.09.2014.
Der 6. Zivilsenat hatte über den Anspruch des Moderators Günther Jauch auf eine Gegendarstellung in der Zeitschrift „WOCHE HEUTE“ zu entscheiden. Dort wurde anlässlich des Kaufs eines Gutshauses durch Jauch gemeldet, der Moderator habe dort „seine Kindheit verbracht, zwischen den Reben gespielt und bei der Weinlese geholfen“. Die Zeitschrift wurde dazu verpflichtet ebenfalls auf Seite 1 zu berichten, dass Jauch in dem Gutshaus nicht seine Kindheit verbracht habe sondern in den Ferien ein paar Mal dort war und weder zwischen den Reben spielte noch bei der Weinlese mithalf. Jauch habe ein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung und die Meldung betreffe auch keine bloße Belanglosigkeit, da der Bericht den Eindruck erwecke, der Moderator sei auf dem Weingut aufgewachsen - 6 U 153/13 - Urteil vom 03.02.2014.
Mit der Frage der Zulässigkeit von Prominentenwerbung für Arzneimittel befasste sich der 6. Zivilsenat. Die Beklagte hatte für „Schüßler-Salze“ mit einer Abbildung der Schauspielerin Ursula Karven geworben. Neben der Abbildung befand sich die mit dem Namen der Schauspielerin und dem Zusatz Ursula Karven, Mutter, Schauspielerin, Unternehmerin versehene Aussage „Für die Balance zwischen Beruf und Familie bin ich selbst verantwortlich - genauso wie für meine Gesundheit“. Der 6. Zivilsenat hat die Beklagte verurteilt, diese Werbung zu unterlassen, da sie gegen das Heilmittelwerbegesetz verstoße. Dieses verbietet die Bewerbung von Arzneimitteln mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben - 6 U 66/13 - Urteil vom 08.04.2015.
3. Historische Sachverhalte/ Nachbar- und Familienstreit
Auch lange zurückliegende
Sachverhalte, können tatsächliche und rechtliche
Wirkungen entfalten, die die Gerichte beschäftigen.
Mit einem weit zurück liegenden Sachverhalt mit
erheblichen Auswirkungen in der Gegenwart, der in Waghäusel
spielt und die badische Geschichte der letzten 150 Jahre
berührt, befasste sich der 8. Zivilsenat.
Auf einem von der Klägerin gemieteten Grundstück stellte
das Landratsamt Karlsruhe eine schädliche
Bodenveränderung mit Grundwasserschaden (u. a.
Cyanid) fest. Für die darauffolgende Bodensanierung
übernahm die Klägerin die Sanierungsverantwortlichkeit
und die Kosten von behaupteten knapp 700.000 EUR. Die Mieterin
machte nun einen Ausgleichsanspruch nach dem
Bundes-Bodenschutzgesetz gegen die Beklagte, die
Südzucker AG, geltend. Nach den
Feststellungen des Senats gingen die schädliche
Bodenveränderung und der Grundwasserschaden auf eine Gasfabrik
zurück, welche die „Badische Gesellschaft für
Zuckerfabrication AG“ seit mindestens 1843 bis etwa 1910 auf
dem Grundstück zur Beheizung und Beleuchtung ihrer
Zuckerfabrik betrieben hatte. Im Jahre 1926 wurde die Beklagte nach
Ansicht des Senats Gesamtrechtsnachfolgerin dieser Badischen
Gesellschaft und haftet daher dem Grunde nach für den
entstandenen Schaden. Rechtlich entscheidend war unter anderem,
dass die Verunreinigung von Erdreich und Grundwasser bei Betrieb
eines Gaswerks zumindest ab 1872 auch in Baden einen
polizeiwidrigen Zustand darstellte - 8 U 83/12 - Urteil vom
19.12.2014.
Einen Nachbarstreit, der sich an einer im 19. Jahrhundert eingetragenen Belastung entzündete, hatte der 9. Zivilsenat zu entscheiden. Er befasste sich mit der Frage wie eine im Grundbuch eingetragene Belastung aus dem Jahr 1857, die den Eigentümer des Nachbargrundstücks verpflichtete „die Gebäulichkeiten nicht zu erweitern“ auszulegen sei. Die Beklagte erwarb das belastete Grundstück im Jahr 1997 und errichtete im Jahr 2010 über dem bis dahin dort befindlichen Gewölbekeller ein Wohnhaus. Dabei erweiterte sie den Gewölbekeller um einen zusätzlichen Kellerraum. Das Oberlandesgericht verpflichtete die Beklagte zur Beseitigung des Technikraums aufgrund der aus dem 19. Jahrhundert stammenden eingetragenen Baubeschränkung. Unter „Gebäulichkeiten“ seien auch Keller zu verstehen - 9 U 118/11 - Urteil vom 03.04.2014.
Ebenfalls einen Nachbarstreit entschied der 3. Zivilsenat. Der Kläger berief sich hierbei auf ein nicht eingetragenes Recht auf Nutzung eines Grundstücks als Wendehammer. Die Beklagte wollte das bis dahin von mehreren Anwohnern einer Sackgasse als Park- und Wendemöglichkeit genutzte Grundstück bebauen. Eine die Wendemöglichkeit einräumende Grunddienstbarkeit war zu keinem Zeitpunkt eingetragen worden. Der Senat entschied, der Kläger könne sein Begehren auch nicht auf ein Notwegerecht stützen. Ein Notwegerecht sichere lediglich die Anfahrtsmöglichkeit zum Grundstück, nicht aber eine Wendemöglichkeit. Die fehlende Wendemöglichkeit sei eine bloße Unannehmlichkeit, die die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks nicht rechtfertige - 3 U 8/14 - Urteil vom 24.09.2014.
Dass Bambus, obwohl botanisch ein Gras, eine Hecke im Sinne des Nachbargesetzes Baden-Württemberg sein kann, hat der 12. Zivilsenat entschieden. Gleichzeitig war zu entscheiden, dass ein Metallgitterzaun aus Doppelstabmatten, gefertigt aus massiv geschweißten Rundeisenstäben kein Drahtzaun im Sinne des baden-württembergischen Nachbarrechts ist - 12 U 162/13 - Urteil vom 25.07.2014.
Obwohl es keine schriftlichen
Vereinbarungen gibt, kann ein Versprechen allerdings auch bindende
Wirkung entfalten. So in einem vom 9. Senat zu verhandelnden Fall
der Hofübergabe:
Der Kläger hatte 27 Jahre lang ohne eine über
Kost und Logis hinausgehende Bezahlung auf dem elterlichen Hof und
der dazugehörigen Gaststätte gearbeitet. In der
Gaststätte hatte auch seine Ehefrau unentgeltlich gearbeitet.
Nach 27 Jahren kam es zu einem Zerwürfnis mit dem nun
beklagten Vater, der Teile des Hofes an einen Bruder des
Klägers überschrieb. Der 9. Zivilsenat hielt den Vater
für verpflichtet, mit dem Kläger einen
Übergabevertrag zu schließen. Der Beklagte habe bis zu
dem Zerwürfnis 1999 vorgehabt, den Hof an den Kläger zu
übergeben. Dieser habe im Vertrauen auf eine
lebenslängliche Existenzsicherung darauf verzichtet, eine
eigene Altersversorgung aufzubauen. Die Parteien hätten
demnach nach den von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätzen einen wirksamen, formlosen
Hofübergabevorvertrag geschlossen
- 9 U 9/11 - Urteil vom 23.10.2014.
III. Familiensenate
1.
Unterhalt für volljährige Kinder - Auszug aus der
elterlichen Wohnung
Der 2. Zivilsenat wies die Beschwerde einer
18jährigen gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts
Schwetzingen zurück. Die Antragstellerin absolviert eine -
nicht bezahlte - Ausbildung zur Erzieherin in der Nähe der
elterlichen Wohnung. Aufgrund von Streitigkeiten mit der Mutter
über Mithilfe und gegenseitige Rücksichtnahme war die
Tochter zu ihrem Freund gezogen und wollte nun statt des bisher
gewährten Naturalunterhalts Barunterhalt von ihren Eltern. Der
Senat entschied, dass für eine Unwirksamkeit der
Naturalunterhaltsbestimmung durch die Eltern nur schwerwiegende
Gründe ausreichten. Erforderlich seien etwa eine
tiefgreifende, voraussichtlich nicht behebbare Entfremdung oder die
Unzumutbarkeit der Rückkehr in den elterlichen Haushalt aus
gesundheitlichen Gründen. Beides konnte nicht festgestellt
werden, vielmehr handele es sich bei den geschilderten
Auseinandersetzungen um typische Konflikte im Rahmen des
familiären Zusammenlebens, die eine Unwirksamkeit der
Unterhaltsbestimmung nicht rechtfertigten- 2 UF 276/14
- Beschluss vom 23.01.2015.
2.
Schmerzensgeldanspruch des Kindes möglich bei
Beschneidung eines Kindes ohne Einwilligung beider Eltern
Die Eltern des sechsjährigen Antragstellers sind
geschieden. In einer Vereinbarung zum Umgangsrecht einigten sich
die Eltern darauf, dass ihr Sohn nicht beschnitten wird. Dennoch
kam es während eines Urlaubs mit dem Vater im Rahmen seines
Umgangsrechtes im Juli 2011 zu einer Beschneidung des Kindes. Eine
medizinische Notwendigkeit oder Einwilligung der Mutter lag nicht
vor. Da das Kind nach seiner Rückkehr nach Deutschland unter
massiven Schmerzen und psychischen Beeinträchtigungen infolge
der Beschneidung litt, verlangte es vom Vater ein Schmerzensgeld
von mindestens 12.000 Euro. Der 18. Zivilsenat entschied, dass
dem Kind Verfahrenskostenhilfe zu gewähren sei. Ein
Schmerzensgeldanspruch wegen Körperverletzung, Verletzung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechtes oder Pflichtverletzung in
Ausübung der elterlichen Sorge komme in Betracht. Es handele
sich um einen Anspruch aus dem Eltern-Kind Verhältnis, damit
sind die Familiengerichte zuständig. Die Höhe des
Schmerzensgeldes ist im Hauptsacheverfahren zu bestimmen -
18 WF 219/13 - Beschluss vom 22.09.2014.
3. Mit der Frage der
Sittenwidrigkeit von Verträgen zwischen Eheleuten hatte sich
der 20. Zivilsenat zu befassen:
Wenige Wochen nach der Heirat im Jahr 1993 schlossen die
damals 22jährige Büroangestellte und der 27 Jahre alte,
als selbständiger Vertriebsleiter einer Bausparkasse
tätige Ehemann einen notariell beurkundeten Ehevertrag, in dem
der Zugewinnausgleich ausgeschlossen wurde und Gütertrennung
vereinbart wurde. Auf nachehelichen Unterhalt wurde auch für
den Fall der Not verzichtet, es sei denn der Verzichtende habe
Kinder zu betreuen, die noch nicht 7 Jahre alt sind. Allerdings
wurde der Unterhaltsanspruch für diesen Fall erheblich
begrenzt. Eine Vereinbarung über den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs wurde nicht getroffen.
Seit 1994 war die Ehefrau im Büro des Ehemanns als
Angestellte beschäftigt. 2001 und 2004 wurden
gemeinschaftliche Kinder geboren. 2007 erkrankte die Ehefrau an
Krebs. In dieser Zeit nahm der Ehemann ein außereheliches
Verhältnis auf. Die Eheleute trennten sich 2011. Der
Scheidungsantrag wurde der Ehefrau 2013 zugestellt.
Die Ehefrau machte geltend, der Ehevertrag sei wegen
Sittenwidrigkeit nichtig. Der Vertrag sei auf Drängen des
Ehemannes zu Stande gekommen. Der Ehemann habe ihr erklärt,
der Vertrag diene ihrer Absicherung und der Absicherung der
Selbstständigkeit des Ehemannes. Sie habe dem Ehemann
blind vertraut und sei über den Tisch gezogen worden.
Während der Ehemann erhebliches Vermögen während der
Ehezeit gebildet habe, sei dies der Ehefrau nicht möglich
gewesen. Der vereinbarte Unterhaltsverzicht treffe die Ehefrau
besonders hart, da sie durch die Rollenverteilung in der Ehe
gehindert gewesen sei, sich im Beruf weiterzubilden und eine eigene
Invaliditäts- und Altersversorgung aufzubauen. Diese
Altersversorgung müsse sie nun mit ihrem Ehemann teilen,
während das von ihm gebildete Vermögen einer Teilung
nicht unterliege.
Der Senat hielt den Vertrag zwar für objektiv
sittenwidrig. Die Vereinbarungen führten vorhersehbar
dazu, dass im Scheidungsfall die Ehefrau nicht an der vom Ehemann
aufgebauten Altersversorgung, wohl aber der Ehemann an der von der
Ehefrau aufgebauten Altersversorgung, partizipieren würde.
Auch der vereinbarte, weitgehende Verzicht auf nachehelichen
Unterhalt bzw. dessen Begrenzung bewirkte objektiv eine einseitige,
durch die ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte
Lastenverteilung zum Nachteil der Ehefrau.
Aus diesen objektiv einseitig belastenden Regelungen kann jedoch
nur dann auf die erforderliche verwerfliche Gesinnung des
begünstigten Ehegatten geschlossen werden, wenn sich in dem
unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen
Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines
Ehegatten widerspiegelt. Dass die Ehefrau sich bei
Abschluss des Ehevertrages objektiv oder subjektiv in einer
gegenüber dem Ehemann erheblich unterlegenen
Verhandlungsposition befunden hätte, konnte nicht festgestellt
werden. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine wirtschaftliche
Abhängigkeit der Ehefrau im Rahmen von Eheschließung und
Abschluss des Ehevertrages bestanden nicht. Der Abschluss eines
nachteiligen Ehevertrages im blinden Vertrauen auf den anderen
Ehegatten ist keine gemäß § 138 BGB sittenwidrige
Übervorteilung - 20 UF 7/14 - Beschluss vom
12.12.2014.